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Das erste Medikament, welches nur Krebszellen tötet, aber keine gesunden

Operationen, Chemo-, und Strahlentherapie sind die drei wichtigsten Arten der Krebsbehandlung. Jede hat aber ihre Beschränkungen und ist mit beträchtlichen Nebenwirkungen verbunden. Operation, wenn möglich, ist immer noch häufig die Methode der ersten Wahl. Leider sind heilende operative Eingriffe nur in wenigen Fällen möglich, der Resttumor bleibt meistens unerkannt, was zu Tumorrückfällen und Metastasierung führt. Dann kommt eine zusätzliche Behandlung infrage.
Sowohl Bestrahlung wie auch Chemotherapie hat keine selektive Wirkung gegen Tumorzellen, ist selbst karzinogen (krebserregend) und mutagen (schädigen Chromosomen und verändern das Erbgut).
Es ist klar, dass das Problem der immensen Nebenwirkungen der Chemotherapie auf gewöhnlichen Wegen nicht zu lösen ist. Dies könnte nur mit denjenigen Präparaten erreicht werden, welche nur die Krebszellen töten, aber die gesunden Zellen nicht schädigen, mit anderen Worten, selektiv nur gegen Krebszellen wirken.
Wie unzufriedenstellend die heutigen Ergebnisse der Chemotherapie sind, zeigt zum Beispiel der Spiegel-Artikel vom 15. Mai 2010 (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-70501026.html). Täglich sterben weltweit etwa 20.000 Menschen an den Folgen einer Krebserkrankung.
Somit ist klar, dass es immer schon der größte Wunsch aller Wissenschafter und Krebsforscher war, ein Präparat zu finden, welches nur die Krebszellen abtötet und die gesunden unbeschädigt lässt. Mit anderen Worten, ein Präparat mit der selektiven Wirkung nur gegen die Krebszellen und nicht gegen die gesunden. Alle Bemühungen der Wissenschafter auf der ganzen Welt waren erfolglos, was zur Verbreitung des Pessimismus in der Forschungsgemeinde geführt hat – man war fest überzeugt, dass dieses Problem unlösbar sei, weil der Unterschied zwischen einer gesunden und einer Krebszelle zu gering ist.

Krebszellen kann man töten ohne die gesunden zu schädigen
Beim 13. Internationalen Kongress für Chemotherapie in Wien im August-September 1983 wurde ein neues Mittel – Thiophosphorsäure-Derivat der Alkaloide aus dem Schöllkraut (Ukrain, NSC 631570) präsentiert (Beilage 1). Die Entwicklung dieses Präparates war der erste sehr wesentliche Schritt auf dem Weg zur Lösung des besagten Problems. Untersuchungen in vitro zeigten einen unterschiedlichen Sauerstoffverbrauch durch normale Leberzellen und aszitische Zellen des Ehrlichschen Tumors nach der Inkubation mit UKRAIN: nach anfänglichem Anstieg fiel der Sauerstoffverbrauch bei Krebszellen auf Null, während sich der Sauerstoffverbrauch bei den gesunden Zellen wieder normalisieret und diese unbeschädigt blieben (38). Diese Studie lieferte erste Hinweise darauf, dass Ukrain im Gegenteil zu seinen Ausgangsstoffen Thiotepa und Schöllkrautalkaloiden tatsächlich toxisch nur gegen Krebszellen und nicht gegen die normalen Zellen ist.
Der zweite Hinweis wurde bei der klinischen Anwendung geliefert, wo Ukrain keine nennenswerten Nebenwirkungen bewirkte. Es verbesserte den Allgemeinzustand der Patienten und den von der früheren Chemotherapien beschädigten Immunstatus.
Der dritte Hinweis lieferte die Studie von der University of Miami, basierend auf welcher der therapeutische Index von Ukrain als 1250 berechnet wurde. Das ist ungewöhnlich hoch für ein Krebsmittel. Therapeutischer Index ist das Verhältnis der toxischen Dosis zur therapeutischen und spiegelt die Sicherheit eines Arzneimittels wider. Therapeutischer Index von den konventionellen zytostatischen Präparaten liegt im Bereich 1,4-1,8 und darum kann ihre Überdosierung fatale Folgen haben. Wegen des sehr hohen TI-Werts von 1250 besteht bei der Ukrain Anwendung keine Gefahr der Überdosierung.
Die Entwicklung von Ukrain war eine bahnbrechende Entdeckung. Das Präparat hat gezeigt, dass das Problem lösbar ist und hat unsere Vorstellungen von gesunden und Krebszellen verändert.
Die Präsentation beim Kongress hat sowohl Skepsis als auch ein großes Interesse hervorgerufen. Viele namhafte Forschungsinstitutionen, wie National Cancer Institute (USA), EORTC, University of Miami haben begonnen, das Präparat zu testen, um seine einzigartigen Eigenschaften besser zu erklären. Im Unterschied zu konventionellen zytostatischen Präparaten hat Ukrain im Testmodell der NCI alle 60 getesteten Krebszelllinien, die acht wichtigen menschlichen Tumore repräsentieren, abgetötet, einschließlich die Zelllinien, welche zu dem damals stärksten bekannten Zytostatikum Cis-Platin resistent waren.
Das hat noch mehr Interesse in der wissenschaftlichen Fachwelt geweckt. Führende Forscher untersuchten Ukrain, jede Gruppe mit der für sie zugänglichen Methode. Dank dieser Vielfalt an Experimenten konnten die feinen Mechanismen der Wirkung von Ukrain auf verschiedenen Ebenen entschlüsselt werden: zuerst auf zellulärer Ebene mit Sauerstoffverbrauch (Wirkung auf Mitochondrien), dann auf der Ebene der Chromosome (Wirkung auf DNS und RNS), Zellorganellen und Molekülen. Diese Untersuchungen haben äußerst interessante Ergebnisse gebracht und nicht nur die selektive Wirkung von Ukrain mehrmals bestätigt, sondern auch alle Zweifel daran gründlich vernichtet. Das bedeutet, Ukrain kann zwischen gesunden und bösartigen Zellen unterscheiden, was den Forschern noch nicht gelungen ist. Das Interesse an Ukrain wächst und die Forschung wird fortgesetzt.
Die Forscher der Wiener Universität für Bodenkultur haben die hemmende Wirkung von UKRAIN auf die Vermehrung von bösartigen und normalen Zellen verglichen. Um eine 50%-Wachstumshemmung zu erreichen, musste bei normalen endothelialen Zellen eine zehnfache Konzentration von NSC 631570 im Vergleich zu einer menschlichen Osteosarkomzelllinie verwendet werden. Laserabtastungsmikroskopie zeigte ein hohes Aufnahmevermögen von UKRAIN in bösartigen Zellen, während die Aufnahme in normalen Zellen unter denselben experimentellen Bedingungen wesentlich niedriger war (36).
In der Studie über die Wirkung von Ukrain auf die Erythroleukemiezellen K-562 wurde herausgefunden, dass dieses Präparat einen bimodalen Krebszellentod bewirkt. Bei niedrigeren Konzentrationen von Ukrain sterben die malignen Zellen infolge Apoptose ab, bei höheren Konzentrationen wird die Mikroröhrchenbildung verhindert und entsteht Polyploidie (62).
1998 bewies die Gruppe um Anne Panzer die selektive Wirkung von Ukrain auf molekularer Ebene. Die Wissenschafter der University of Pretoria, Südafrika haben in den Versuchen an menschlichen Zervixkarzinomzellen HeLa, Plattenepithelkarzinom WHCO5 und normalen Pferdelungenzelllinie erforscht, dass UKRAIN für Krebszellen selektiv toxisch ist, indem es einen Metaphaseblock verursacht, der durch eine anomale Chromosomenverteilung charakterisiert wird und auf die Bildung von Mikrokernen und in Apoptose hinausläuft. Die normalen Zellen wurden dabei nicht beeinflusst (139).
Im Jahre 2000, bei Beurteilung der Zellproliferation nach der BrdU-Aufnahme in den Zelllinien AsPC1, BxPC3, MiaPaCa2, Jurkat und THP-1 und der Zellzyklusphasen – mit Hilfe von Giemsa-Färbung, haben die Ulmer Forscher festgestellt, dass 10 µg/ml UKRAIN nach 24 Stunden eine deutliche Ansammlung der Krebszellen in der Phase G2/M bewirkt. Interessanterweise zeigte sich kein Unterschied in der Apoptoserate von den mit Ukrain behandelten normalen peripheren Mononuklearen verglichen mit den unbehandelten. Die blastogene Antwort von mitogen-stimulierten Lymphozyten war sogar signifikant erhöht. Die Autoren zeigten, dass Ukrain die Pankreaskrebszellen in Prophase blockiert, indem es die Tubulinpolymerisation hemmt (181). Diese Arbeit bestätigte, dass Ukrain keinen Einfluss auf normale Zellen ausübt.
Ebenso 2000 haben die Forscher der Rochester University (USA) an den Epidermoidkarzinomzelllinien ME180 und A431 sowie Prostatakrebszelllinie LNCaP die Wirkung von NSC 631570 auf die Konzentrationen von Cyclinen und Cyclin-abhängigen Kinasen untersucht. Es wurden die Änderungen in den Konzentrationen von mitotischen Cyclinen A und B1 sowie CDK1 und CDK2 gefunden. Die Forscher haben auch eine erhöhte Expression des CDK-Inhibitors p27 in beiden Krebszelllinien beobachtet, was zur Anreicherung der Krebszellen, nicht aber von normalen Zellen in der G2/M-Phase geführt hat (147, 149).
In ihrer weiteren Arbeit im Jahre 2000 haben die Forscher aus Südafrika entdeckt, dass UKRAIN die Polymerisation von Tubulin hemmt (185).
2002 untersuchten die Wissenschaftler der Eberhard-Karls-Universität (Tübingen, Deutschland) die Wirkung von NSC 631570 alleine oder kombiniert mit der Bestrahlung (1-10 Gy) auf das Zellüberleben, die Modifizierung des Zellzyklus und die Induktion der Apoptose in den exponentiell wachsenden menschlichen Tumorzelllinien MDA-MB-231 (Brustkrebs), PA-TU-8902 (Bauchspeicheldrüsenkarzinom), CCL-221 (Dickdarmkrebs), U-138MG (Glioblastom) und in den menschlichen Fibroblasten der Haut HSF1, HSF2 und der Lunge CCD32-LU. Ohne Bestrahlung bewirkte NSC 631570 zeit- und dosisabhängige zytotoxische Wirkung, welche an Krebszellen mehr ausgeprägt war als an normalen Zellen. Kombiniert mit Bestrahlung, bewirkte NSC 631570 eine erhöhte Zytotoxizität gegenüber Dickdarmkrebs- und Glioblastomzelllinien, nicht aber gegenüber den Brustkrebs- und Pankreaskarzinomzelllinien. Mittels Durchflusszytometrie wurde gezeigt, dass NSC 631570 die toxische Wirkung von Bestrahlung auf diese menschlichen Krebszelllinien modulierte, indem es ihre Anreicherung in der Phase G2/M des Zellzyklus hervorrief. Seine protektive Wirkung auf die normalen menschlichen Fibroblasten spricht für einen sinnvollen Einsatz in der kombinierten Radiochemotherapie (184).
An einem Jurkat-Lymphom-Model wurde 2005 die Fähigkeit von Ukrain erforscht, die Apoptose zu induzieren. Ukrain erwies sich als ein starker Apoptose-Induktor. Vertiefte Untersuchungen haben gezeigt, dass es Depolarisierung von mitochondrialen Membranen und als Folge die Aktivierung von Caspasen hervorgerufen hat (246).
2006 stellten Forscher am Institut Nacional de Cancerologia (Mexiko City, Mexiko) fest, dass UKRAIN in einer Reihe von Krebszelllinien (menschliche Zervixkarzinome HeLa, HeKB, HeKS32, HeBcll3, HeNFR und HelKK, Dickdarmkrebs SW480, Nierenkrebs HEK293, Osteosarkom MG 63) die Apoptose auslöst, indem es den inneren Zelltodweg aktiviert. Interessanterweise war die nichttransformierte Fibroblastenzelllinie hTERT diesem Medikament gegenüber unempfindlich (255).
Die zytotoxische Wirkung von NSC 631570 wurde in zwei primären Bauchspeicheldrüsenkrebszelllinien (PPTCC), Fibroblasten aus duktalen Pankreaskarzinomgewebeproben (F-PDAC) und einer immortalisierten duktalepithelialen Pankreaszelllinie (HPNE) untersucht. Die Zytotoxizität wurde mittels CellTiter 96-Satz erfasst. Modulierung der NSC 631570-Aufnahme im Nährboden wurde mithilfe von Fluoreszenz von NSC 631570 im UV-Licht bestimmt. Die zytotoxische Wirkung von NSC 631570 in Pankreaskarzinomzelllinien war wesentlich höher als in den Fibroblasten und Epithelzellen (20% gegen 80% lebende Zellen). Außerdem hat der Fluoreszenz-Test ergeben, dass PPTCC-Zellen mehr Präparat aufgenommen haben als F-PDAC- und HPNE-Zellen. Diese Ergebnisse zeigen selektive Wirkung von NSC 631570 in den Pankreaskarzinomzellen, was auf verschiedene Transportsysteme oder auf eine höhere Metabolismusrate des Präparates in den PDAC-Zellen hinweist (265).
Wie man sieht, sind viele Aspekte der Wirkung von Ukrain auf die Krebszellen bis jetzt erforscht worden. Trotzdem besteht die Möglichkeit, dass diese Effekte nur Folgeerscheinungen eines noch unbekannten Prozesses sind, welches Ukrain in der Krebszelle, aber nicht in der gesunden Zelle hervorruft. Wenn es gelingt, dieses Phänomen zu entschlüsseln, könnte uns es sehr wichtige Indizien für den wesentlichsten Unterschied zwischen normalen und Krebszellen liefern, auf die echte Ursache der Krebsentstehung hinweisen und ganz neue Perspektive für die Entwicklung von neuen Krebsmitteln öffnen, nicht nur für die Behandlung, sondern auch für den Einsatz in der Krebsvorbeugung.